Am vergangenen Samstag war er wieder, der Record Store Day. Der Schallplattentag, an dem nun im 11. Jahr eigens Sonderauflagen herauskommen, die niemand vermisst hätte, wären sie nicht eigens für den Schallplattentag gepresst worden. Der Musikexpress möchte den RSD inzwischen sogar ausdrücklich ignorieren (Warum man den RSD ignorieren sollte).

Andererseits kann daran doch nichts falsch sein, wenn wenigstens ein Mal im Jahr größeres Aufheben um die gute alte, nicht totzukriegende Schallplatte gemacht wird. – Apropos, wie kommt das eigentlich. Ist das nicht eine völlig veraltete Technik? Das muss man sich schon mal fragen.
PVC die Hassliebe. Nicht nur weil das Polyvinylchlorid als Werkstoff in seiner Umweltrelevanz zweifelhaft ist, sondern auch, weil unser liebstes meist zwölf Zoll großes rundes PVC-Produkt, die Schallplatte bei der Fertigungsqualität so schwankt.
Manche Platten sind gar nicht platt. Der Tonarm vollführt mitunter eine wahre Berg und Talfahrt bei der Abtastung oder fährt wie ein Skifahrer quer zum Hang, wenn sich das Exemplar auf dem Plattenteller wie ein Wok nach oben oder unten wölbt. Dabei sollte die Tonabnehmernadel in der Rille sensibel kleinste Löchlein und seitliche Ausschläge abtasten, wofür man sich als geneigter Schallplattenspielerinhaber bei der peniblen Justage des Systems schon mal verkünsteln kann, bis der Abtastwinkel der Nadel auch wirklich exakt genug stimmt. Da kann so eine unplatte Platte schon echt den Spaß verderben. Ganz zu schweigen davon, wenn die Dinger nicht rund sind bzw. das Loch nicht in der Mitte. Das Leiern der Musik ist nur vom Heulen des Plattenfreundes zu übertreffen.
Dazu kommen noch weitere Störfaktoren, die eine saubere Abtastung manchmal zu einem Glückspiel machen. Tatsächlich schwankt heutzutage die Qualität der verschiedenen Presswerke oder möglicherweise auch der Mitarbeiter der jeweiligen Tagesschicht offenbar enorm. In den letzten Jahren habe ich Platten aus der Hülle gezogen, die waren wunderbar, ohne hörbare Eigengeräusche und dann gibt es Platten, die im Neuzustand bereits voller Striemen, Fingerabdrücke oder sonstiger Materialrückstände sind und schlechter klingen als eine ungepflegte Schallplatte aus den 80ern die für lau auf dem Flohmarkt erworben wurde.
Warum also setzen wir verrückten Vinylliebhaber uns freiwillig dieser Unbill aus? Klingen nicht Compaktscheiben oder gar rein digital gespeicherte Musikstücke viel sauberer? Und zudem verschleißen sie nicht einmal wie die Schallplatte, die mit jedem Abspielen ein ganz klein wenig ihrer Brillianz im Klang einbüßt.
Die Antwort ist so einfach wie schwierig zugleich. Tradition, Nostalgie, Größe, Optik und einfach Liebhaberei, aber eben auch der Klang. Einerseits hat die gute alte LP eben ihren ganz eigenen Wert. Sie ist auch einfach da, greifbar, gegenständlich. Sie ist schön, kein Vergleich mit einer CD. Sie hält ewig und mag zwar verschleißen, gibt aber auch nach 100 Mal Abspielen immer noch etwas vom Originalklangempfinden wieder. Im Grunde erzählt jede Schallplatte sogar zunehmend ihre eigene Geschichte. Eine Datei verschwindet irgendwann in den Untiefen ihres Speichermediums oder, ohne Backup, manchmal ganz.
Ja und über den Klang einer Schallplatte, da herrschen viele Mythen. Eines jedoch ist gewiss und derzeit der vielleicht wichtigste Aspekt rund um die Schallplatte. Der Lautheitskrieg (Suchmaschinen Stichwort: „loudness war“) hat die Schallplatte wichtiger denn je gemacht. Und zwar im Grunde wegen ihrer totalen Unterlegenheit. Die mechanische Abtastung hat gegenüber der digitalen Signalspeicherung enorme Nachteile, was den möglichen Signalpegel angeht. Dazu muss die Nadel in Schwingung bleiben, um Ausschläge darzustellen. Die Schallplatte lebt von der Dynamik in den wiedergegebenen Schwingungen. Heutzutage wird aber immer lauter gemastert. Das heißt die Musik wird beim Mastering so abgemischt, dass sie möglichst laut und über mickrige Lautsprecher möglichst präsent und vollständig klingt.
Dies wird durch Komprimieren des Endsignals erzeugt. Die lautesten Töne der Musik werden in der Lautstärke reduziert, die leisesten Töne werden in der Lautstärke erhöht. Das Ergebnis wird dann insgesamt so laut gemacht, wie es das verwendete Speichermedium erlaubt. Damit ist die Musik technisch betrachtet nicht lauter geworden, sondern nur insgesamt so laut wie zuvor die lautesten Einzeltöne. – So arbeiten übrigens die Fernsehanstalten, die die Werbung möglichst laut erscheinen lassen wollen, den Maximalpegel der Werbung im Vergleich zu den Programminhalten gesetzlich jedoch nicht anheben dürfen.
Das liest sich vielleicht nicht so schlimm, aber das Resultat ist hörbar unschöner. Musik lebt einfach von Dynamik, von den Lautstärkeunterschieden. Instrumente haben verschiedene Lautstärken und ihre Töne beginnen meist leise, werden lauter und klingen langsam aus. Eine Akustikgitarre klingt einfach leiser als ein Schlagzeug und ein gehauchter Laut kann genauso wichtig sein, wie sein aus vollem Hals geschrieener Refrain. Ist alles gleich laut, klingt es unnatürlich und schrill. Besonders schlimm ist im Grunde, dass diese in der Dynamik komprimierte Musik, zwar bereits bei geringen Lautstärken laut erscheint, sich aber nicht richtig laut hören lässt. Dieser Dauerdruck auf den Trommelfellen tut einfach weh
Und jetzt kommt der Nachteil der Schallplatte ins Spiel. Die schlimmsten Exzesse der Lautheit im Mastering, die die digitalen Medien problemlos erlauben, die erlaubt die LP nicht. Die Nadel kann nicht nur laut abtasten, sie muss schwingen oder sich bewegen. Also werden viele aktuelle Musikproduktionen für die LP-Veröffentlichung noch einmal weniger komprimiert gemastert. Das klingt dann einfach schöner und lässt sich sogar lauter aufdrehen. Verrückt, aber leider wahr!
Also, die Mühe lohnt sich einfach doch noch. Leider oder gottseidank, aber solange auch HighEnd/-Resolution Downloadportale keine alternativen Masteringversionen anbieten, solange bekommen wir unsere gute Musik eben nur von Vinyl.
Hier ein schöner Artikel aus der Zeitschrift SOUND & RECORDING, der den Fertigungsaufwand erläutert, der in den Scheiben steckt: Vinylschnitt-Studio Duophonic in Augsburg